Aktualisiert:
26.09.2021

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Nachdenkliches

Wie konntest Du nur…?

Eine Geschichte von Jim Willis

Als ich noch ein Kätzchen war, unterhielt ich Dich mit meinem Herumtollen und brachte Dich zum Lachen. Du nanntest mich „dein Baby“, und, obwohl ich einiges kaputt machte, wurde ich deine beste Freundin. Wann immer ich etwas „anstellte“, hobst du mahnend den Zeigefinger und sagtest „Wie konntest Du nur!?“, aber schon einen Augenblick später warst du wieder so zärtlich und hast mich eng an dich gedrückt.

Als du im Studium so viel lernen musstest, hattest du natürlich wenig Zeit für mich, aber ich verstand das immer und spielte mit meinen Bällchen. Ich erinnere mich an all die Momente, in denen ich mich in Deinem Bett ganz eng an Dich schmiegte und das Leben vollkommen schien. Du tolltest dann auch wieder mit mir herum und wir genossen die Sonne gemeinsam auf dem Balkon. Und von Deinem Frühstück gab es für mich immer was vom Schinken, „aber nicht zuviel, das ist ungesund!“ Und ich schlief solange, bis du von der Arbeit nach Hause kamst. Nach und nach verbrachtest du immer mehr Zeit bei der Arbeit als mit mir, um „Karriere“ zu machen. Dann warst du so viel weg, um einen Menschenpartner kennen zu lernen. Ich wartete immer geduldig auf dich, tröstete dich bei jedem Liebeskummer, tapste mit meinen Pfoten deine Tränen von deinen Wangen und freute mich, als du endlich „deinen“ Partner fandest. Zwar keinen Katzenfreund, aber ich respektierte deine Wahl. Ich war glücklich, weil du glücklich warst! Dann kamen nacheinander deine Kinder zur Welt. Ich teilte die Aufregung mit dir. Ich war von den süssen Kinderchen begeistert, so dass ich sie bemuttern wollte. Aber du und dein Partner dachten nur daran, dass ich ihnen schaden, sie gar verletzen könne. Deshalb wurde ich auch noch aus dem grossen schönen Zimmer ausgesperrt.

In dein Bett durfte ich schon lange nicht mehr. Ich liebte die Kinder und wurde „Gefangener der Liebe“. Sie fingen an zu wachsen und ich wurde ihre Freundin. Sie zerrten an meinen Ohren, meinem Fell, meinem Schwanz, hielten sich auf wackligen Beinchen beim Laufen lernen an mir fest. Sie erforschten meine empfindliche Nase mit unbeholfenen Fingerchen und ich hielt bereitwillig still. Ich liebte alles an den Kindern, besonders ihre Berührungen, weil deine so selten wurden. Ich war bereit, die Kinder notfalls mit meinem Leben zu verteidigen. Ich war bereit, in ihre Betten zu schlüpfen, um ihre Sorgen und Träume anzuhören. Und zusammen mit ihnen erwartungsvoll auf das Motorengeräusch deines Autos zu hören, wenn du in die Einfahrt einbogst. Wenn man dich vor einiger Zeit fragte, ob du ein Haustier hättest, zogst du aus deiner Tasche ein Foto von mir und erzähltest so liebvoll über mich. Die letzten Jahre gabst du nur noch ein knappes „ja“ von dir und wechseltest das Thema. Ich war früher „deine Samtpfote“ und bin heute nur noch eine Katze.

Dann hattet ihr eine neue Karrieregelegenheit in einer anderen Stadt. Du und dein Partner fanden eine Wohnung, in der Haustiere nicht erlaubt waren. Ein Mann hat euch das extra noch gesagt, aber ihr habt ohne zu zögern unterschrieben. Beide. Du hattest für dich und deine Familie eine Entscheidung zu finden, die aus deiner Sicht bestimmt richtig war. Obwohl einmal ich deine Familie war. Die Autofahrt machte Spass, weil auch die Kinder mitfuhren. Als ich merkte wo wir dann angekommen waren, war der Spass zu Ende.

Es roch nach Hunden und nach meinen Artgenossen, nach Angst und nach Desinfektionsmittel, nach Hoffnungslosigkeit. Du fülltest Papiere aus und sagtest, dass du wüsstest, dass man sicher einen guten Platz für mich findet. Die beiden Damen hinter dem Schreibtisch zuckten mit den Achseln und fanden dich merkwürdig. Sie verstanden die Wirklichkeit, der eine Katze mit über 15 gegenüberstand.Du hattest die Finger deiner jüngsten Tochter aus meinem Fell lösen müssen, während sie schrie „Nein, nein! Nehmt mir meine liebe Katze nicht weg!“ Ich wunderte mich noch wie du ihr ausgerechnet in diesem Moment etwas von Freundschaft, Verantwortung und Loyalität vermitteln wolltest.

Zum Abschied tipptest du leicht auf meinen Kopf, hast dabei tunlichst vermieden, mir in die Augen zu sehen und lehntest höflich ab, meine offen daneben stehende Transportbox wieder mitzunehmen. Du hattest einen wichtigen Termin einzuhalten, nun habe ich auch einen. Nachdem du weg warst, sagte eine der netten Damen, du hättest mit Sicherheit schon lange vom Umzug gewusst und somit wäre Zeit gewesen, einen „guten Platz“ für mich zu finden. Sie schüttelten bedrückt den Kopf und fragten leise: „Wie konntest du nur?“

Die Damen widmeten sich uns, wann immer es ihre Zeit zuliess. Wir bekamen gute und reichliche Mahlzeiten, aber ich verlor meinen Appetit schon vor vielen Tagen. Anfangs hoffte ich noch darauf, dass du eines Tages zurückkommst und mich hier rausholst, wünschte mir, dass all das nur ein schlimmer Traum war und ich eines Tages aufwache… bei dir zu Hause… Aber du kamst nie. Und immer, wenn jemand an „meinem“ Vermittlungszimmer vorbei ging, presste ich bittend meine Pfote durch jeden möglichen Spalt. Gab es niemanden, der mich mochte? Niemanden, dem ich all meine Liebe und Dankbarkeit und zärtliche Treue schenken durfte? Die Wahrheit war, dass ich es mit keinem der kleinen knuddeligen Katzenkinder aufnehmen konnte. Unbeachtet, von allen übersehen und vergessen, zog ich mich in eine Ecke zurück, stand nicht mehr auf.

Eines Tages, am Nachmittag, hörte ich Schritte. Man hob mich auf, trug mich über einen Korridor, der in einen Raum mündete. Es war ein seliger, ruhiger Raum. Die Frau stand am Tisch, streichelte behutsam über meinen Kopf und erklärte mir, dass ich mich nicht sorgen sollte. Mein Herz schlug voller Erwartung auf das, was nun kommen sollte. Gleichzeitig hatte ich ein Gefühl des Loslösens. Mir, der Gefangenen der Liebe, gingen die Tage aus. Ich war mehr um die Frau besorgt als um mich. Ich erkannte, dass sie an einer Last tragen müsse, die Tonnen wog. Sie band leicht etwas um meine Vorderpfote, während eine Träne ihre Wange hinunter lief. Sie schob meinen Kopf in ihre Hand, so wie ich es immer bei dir getan hatte, um dir meine Liebe zu zeigen. Ich spürte einen leichten Einstich und eine kühle Flüssigkeit, die in mich hinein floss. Ich streckte mich schläfrig aus, schaute dabei in die freundlichen Augen der Frau und ich sagte: „Wie konntest du nur?“. Möglicherweise verstand sie mein leises Miauen, denn sie sagte: „Es tut mir Leid!“ Sie umarmte mich hastig und erklärte, dass es ihr Job sei, mir einen besseren Platz zu geben, an dem ich nicht missbraucht, ignoriert und verlassen sein würde. Einen Platz, an dem ich mich nicht verkriechen müsse, einen Platz der Liebe und des Lichts, der so anders sei als auf Erden.

Mit meinem letzten Funken Energie öffnete ich weit meine Augen und sah sie unverwandt an, versuchte ihr so zu sagen, dass mein „Wie konntest du nur?“ nicht an sie gerichtet war. Ich dachte an dich, du mein geliebter Mensch. Und ich werde immer an dich denken und auf dich warten. Mein letzter Atemzug ist mein Wunsch, dass dir in deinem Leben immer diese Loyalität entgegengebracht wird, die mir verweigert worden war… 

Dazu einige Worte des Autors:  Wenn diese Zeilen  „Wie konntest du nur…?“ Ihnen Tränen in die Augen trieb, dann ging es Ihnen wie mir, als ich sie schrieb. Deshalb ist es ausdrücklich erlaubt, diese Geschichte so oft wie möglich weiterzugeben, sofern es nicht kommerziellen Zwecken dient. Erklären Sie der Öffentlichkeit, dass die Entscheidung, ein Haustier aufzunehmen und in die Familie zu integrieren, wichtig für das ganze Leben sein kann. Dass man ein Haustier nicht einfach aufgeben darf – und wenn es absolut nicht anders geht, es wenigstens nicht in ein Tierheim, sondern in eine liebevolle neue Familie geben und sich dankbar von ihm verabschieden soll. Dass Tiere unsere Liebe und unseren  Respekt verdienen, vielleicht mehr als die meisten Menschen….

Jim Willis

 

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